Samstag, 4. April 2015

Große Handelsschiffe des Spätmittelalters

Ein wenig tief gestapelt ist der Untertitel des Band 67 der Schriften des Deutschen Schifffahrtsmuseums „Untersuchungen an zwei Wrackfunden des 14. Jahrhunderts vor der Insel Hiddensee und der Insel Poel“ schon. Immerhin präsentiert der Wissenschaftler Thomas Förster die Ergebnisse mehr als 10 Jähriger Forschungsarbeit über die großen Handelsschiffe des Spätmittelalters.

Dass hierbei die beiden Wrackfunde vor der Insel Hiddensee und der Insel Poel im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen, liegt auf der Hand. Schließlich war Thomas Förster maßgeblich an der Erfassung und Untersuchung auch dieser maritimen „Leitfossilien“ beteiligt. Tatsächlich aber beinhaltet das Buch deutlich mehr als nur die Dokumentation der beiden Wracks. Immerhin rund 200 Fundplätze verschiedener Art, von Wracks unterschiedlichen Alters über Siedlungsreste, Uferbefestigungen und Hafenanlagen bis hin zu Schiffsbauplätzen, die die beiden Wracks in einen regionalen, historischen und strukturellen Kontext stellen, wurden im Rahmen der Studien wissenschaftlich ausgewertet. 

Die hansische Schifffahrt vom 12. bis 16. jahrhundert

Mit der Beschreibung der geografischen und archäologischen Ausgangssituation der Unterwasserfundplätze vor Mecklenburg- Vorpommern begründet Förster die Zielsetzung seiner Forschungsarbeit. Nicht mehr und nicht weniger als die Erschließung einer wichtigen Sachquelle zur Verkehrsgeschichte, die Aufschluss über Verkehrsströme, Handelsbeziehungen, Schiffbauentwicklungen und Waren- und Informationstransfer im 14. Jahrhundert geben, sollte entstehen. Dabei mussten nicht nur archäologische Sachquellen, sondern auch schriftliche und bildliche Quellen herangezogen werden. Die Ausführungen Försters zur Methodik bilden für den Leser eine generelle Grundlage zum Verständnis von unterwasserarchäologischen Kampagnen, die von der Inventarisation über ein denkmalpflegerisches Konzept bis hin zu Dokumentation, Bergung, Auswertung und Rekonstruktion reicht. Kapitel 2 liefert einen Überblick über archäologische und historische Untersuchungen im gesamten damaligen Fahrtgebiet der Hanse, also jener Handelsorganisation, die Schifffahrt und Schiffbau zwischen dem 12. und 16. Jahrhundert so maßgeblich prägte. Dabei erhält der Leser eine Übersicht über Wrackfunde und Forschungsstand von Deutschland, Polen bis nach Russland, von Finnland, Schweden bis nach Norwegen und von Frankreich bis in die Niederlande.

Diskussion um Typologie mittelalterlicher Schiffe

Mit der ausführlichen Dokumentation von der Entdeckungsgeschichte bis zur Rekonstruktion des vor Hiddensee gefundenen sogenannten Gellenwracks und des Poeler Wracks sowie dem anschließenden Vergleich der beiden Koggen gleicher Bauart, wie Förster postuliert, entwickelt sich unter Hinzuziehung aller verfügbaren Quellen die Interpretation der Wrackfunde als Sachzeugnisse der spätmittelalterlichen Handelsschifffahrt. Dabei stellt Förster aus den vorhergehenden Ausführungen nachvollziehbar abgeleitet hinsichtlich der Entwicklung und gegenseitigen Beeinflussung von Schiffbautraditionen, der Größenentwicklung von Hanseschiffen und der Typeinteilung Erkenntnisse und Vorschläge vor, die in der wissenschaftlichen Welt sicherlich noch Diskussionen nach sich ziehen werden. Immerhin schien in letzter Zeit die Zuordnung mittelalterlicher Schiffe zu den Typen Kogge, Holk oder Nef weitestgehend geklärt, Förster hat diese und die Frage der Leistungsfähigkeit hansischer Schifffahrt mit seinem Beitrag mit Sicherheit wieder neu angefacht.

Große Handelsschiffe des Spätmittelalters

Förster, der mit der vorliegenden Untersuchung an der Ernst-Moritz-Ernst-Universität Greifswald promovierte zeigt anhand der Interpretation der Inventarisierten Funde des gesamten Untersuchungsgebietes, dass sich sogar Aufschwünge und Wirtschaftskrisen, Seuchen, Klimaverhältnisse und ökologischer Raubbau des zur Untersuchung der beiden Wracks herangezogenen Zeitraumes, an der Zahl, Art und Verteilung der Wrack- und Inventarfunde im Vergleich mit historischen Quellen nachvollziehen lassen. „Große Handelsschiffe des Spätmittelalters“ fasst den aktuellen internationalen Stand der Forschung zu diesem Thema auf hohem Niveau und illustriert mit Fotodokumentationen und historischen Karten zusammen. Für den Historiker, Modellbauer, Archäologen oder Mittelalterforscher liegt damit nun ein Werk vor, das mit seinem vollständigen Katalog der in diesem Kontext wichtigen internationalen Schiffsfunde, dem umfassenden Literaturverzeichnis und nicht zuletzt den aufschlussreichen Bildtafeln mit grafischen Funddokumentationen und Rekonstruktionszeichnungen nicht nur Fundgrube, sondern auch hervorragende Arbeitsgrundlage darstellt.

Thomas Förster: Große Handelsschiffe des Spätmittelalters, Untersuchungen an zwei Wrackfunden des 14. Jahrhunderts vor der Insel Hiddensee und der Insel Poel. Convent Verlag 2009, Gebunden mit Schutzumschlag, 376 Seiten, ISBN 978-3-86633-012-2

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