Montag, 6. April 2015

Heute dreimal ins Polarmeer gefallen



Er war 20 Jahre alt und Medizinstudent als er 1880 als Schiffsarzt auf einem Walfänger anheuerte. Ergebnis dieser sechsmonatigen Reise in’s Polarmeer waren ein Tagebuch und eine gewisse literarische Prominenz. Denn mehr als mit seiner Doktorei verdiente er anschließend mit Zeitungsartikeln und Vorträgen über sein arktisches Abenteuer. Sein „Logbuch der SS Hope“ wurde erst vor wenigen Jahren entdeckt und liegt nun umfangreich kommentiert und mit weiteren Aufsätzen und Informationen einschließlich einer Auswahl faksimilierter Originalseiten als „Heute dreimal ins Polarmeer gefallen. Tagebuch einer arktischen Reise“ vor. Autor des Tagebuches ist niemand anderes als Arthur Conan Doyle, der weltberühmte Schöpfer der Geschichten des legendären Sherlock Holmes.


Es ist ein schön aufgemachtes Buch, das mir in gebundener Form in einem attraktiven Schuber vorliegt. Und natürlich stellt dieses Werk auch inhaltlich etwas Besonderes dar. Denn das Tagebuch, vermittelt sicherlich einen authentischeren Eindruck von der Persönlichkeit des jugendlichen Sherlock Holmes Erfinders, als seine 1924 erschienene Autobiografie „Memories and Adventures“, die diese Epoche seines Lebens vor allem aus der Erinnerung wiedergibt.

„Würden Sie gerne nächste Woche zu einer Walfangreise aufbrechen?“

Bereits in der Einleitung gelingt es den Herausgebern John Lellenberg und Daniel Stashower, den Leser in den Bann der faszinierenden Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts und des Themas des Buches zu ziehen. Dazu tragen sicherlich die zahlreichen zeitgenössischen und autobiografischen Zitate bei, denen sich der Erzählstil der Herausgeber auf angenehme Weise anpasst. Der kurze Abriss des  familiären und persönlichen Hintergrunds des Protagonisten führt direkt zu jenem Ereignis, das sich nach Aussage Doyles zum ersten außergewöhnlichen Abenteuer seines Lebens entwickeln sollte. Es war die von Doyle als „ungeheuerlich“ qualifizierte Frage eines Kommilitonen: „Würden Sie gerne nächste Woche zu einer Walfangreise aufbrechen? Sie reisen als Bordarzt mit und verdienen dabei zwei Pfund zehn im Monat plus drei Schilling pro Tonne Öl.“

Sechs Monate, die eine Persönlichkeit prägten

Auf nur wenigen Seiten gelingt es den Herausgebern ebenfalls, die historischen, ökonomischen und handwerklichen Hintergründe des Walfangs des 19. Jahrhunderts kurzweilig zusammenzufassen. Die folgenden Einträge Doyles in sein Tagebuch sind mit zahlreichen wertvollen Hintergrundinformationen der Herausgeber versehen. Die Lektüre des Tagebuches mit seinen humorigen Anekdoten, dem britischen Understatement, der Portion Selbstironie aber auch den akribischen Beschreibungen der Waljagd und –verwertung wird dem historisch und maritim interessierten Leser nie langweilig. Das hat auch mit dem Stil zu tun, der gelegentlich durchscheinen lässt, dass Doyle ein Fan von Edgar Allan Poe war. Aber Doyle war zu jener Zeit – neben seiner romantischen Ader - auch ein Analytiker und Verstandesmensch, der dem Aberglauben der Seeleute mit gehöriger Distanz gegenüberstand, wie seine 1883 in der Zeitschrift „Temple Bar“ erschienene Geschichte „Der Kapitän der Polestar“ belegt. Die gibt es im Anhang  des Buches neben weiteren Aufsätzen Doyles und einer Sherlock Holmes-Geschichte mit Walfängerbezug „Der schwarze Peter“ noch dazu.

Das Faksimile, ein historisches Dokument mit hoher Aussagekraft

Die ausgewählten Faksimiles des „Logbuchs der SS Hope“ sind mit handgezeichneten Illustrationen des Autors versehen. Die dürfen durchaus als anschaulich und hinsichtlich ihrer Aussage als präzise gelten, auch wenn Doyles Zeichenkünste weit hinter seinen literarischen Fähigkeiten zurückstehen. Aber es macht schlichtweg Spaß, die Bilder zu betrachten, vor allem weil in ihnen gelegentlich auch der Schalk des Autors aufblitzt. An den Illustrationen wird (wie auch im Tagebuch) ebenfalls deutlich, dass Conan Doyle hinsichtlich des Verhältnisses zum Tier ein Kind seiner Zeit ist. Robbenschlagen, Eisbären töten, Vögel Schießen, Wale erlegen, auch für den Autor des Logbuches nicht unbedingt eine moralische Frage, wie seine peniblen Statistiken der Jagderfolge und der Stolz auf seine eigenen „Strecken“ zeigen.

Der Wermutstropfen

Der Anhang beginnt mit einem Aufsatz der Herausgeber zu Doles Werdegang und literarischer Verarbeitung der sechsmonatigen Reise nach der Rückkehr aus der Arktis. Dabei wird deutlich, wie sehr diese Erfahrung sein weiteres Leben und literarisches Schaffen bis hin zu seinen Protagonisten Homes und Watson beeinflusst hat. Und trotzdem bildet die folgenreiche Episode in Doyles Jugendzeit nur einen Teil der vielschichtigen Persönlichkeit des Autors, wie seine Lebenschronik zeigt.
Ein wirklich originelles und fesselndes Buch mit einer Schwäche. Je weiter der Leser mit der Lektüre vorankommt, desto häufiger überkommt ihn das Gefühl, die eine oder andere Passage bereits zuvor gelesen zu haben. Und dieses Gefühl trügt ihn leider nicht. Denn bestimmte Passagen aus dem Logbuch und der Autobiografie ziehen sich in gleicher oder ein wenig anders formulierter Form durch nahezu alle Abschnitte des Buches. Spätestens bei Doyles Aufsatz „Leben auf einem Grönland-Walfänger“, der 1897 im „The Strand Magazine“ publiziert wurde,  stellt sich die Frage, ob die ungekürzte Wiedergabe von Doyles Traktaten nicht ein wenig zu viel des Guten ist.

Jon Lellenberg/Daniel Stashower (Hrsg.): Arthur Conan Dole; „Heute dreimal ins Polarmeer gefallen“. Tagebuch einer arktischen Reise. Mareverlag 2015. Gebunden im Schuber, 335 Seiten

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