Dienstag, 5. Juli 2016

Éloi, Eine Graphic-Novel

über Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ethnozentrismus

In einer Höhle an der Küste Neukaledoniens des Jahres 1837 beginnt die von den bretonischen Comickünstlern Younn Locard und Florent Grouazel inszenierte fiktive Geschichte des Kanaken Èloi. Der wird aus wissenschaftlichen Gründen vom Naturforscher Pierre Delaunay an Bord der Fregatte La Renommée entführt, die nach erfolgreicher Kartierung der Küsten der melanesischen Inselgruppe  nach Frankreich zurückkehrt. Im Mikrokosmos des Schiffes, von dem es während der langen Reise kein Entrinnen gibt, entwickelt sich eine Tragödie, gespeist aus Vorurteilen, Selbstüberschätzung und kultureller Ignoranz.

Edler Wilder vs Monster

Die Künstler zeichnen eine monochrome Welt (blau unterlegte schwarzweiß Zeichnungen) voller Klischees. Da ist der Geistliche, dem die Taufe und der Weg des „Wilden“ zu Gott so wichtig ist oder der Wissenschaftler, für den der Kanake ein Studienobjekt darstellt, an dem sich sowohl die Evolution als auch der damals letzte Schrei der Naturwissenschaften, die Schädellehre (Phrenologie), studieren lässt. Auch der Kapitän, die Offiziere und nicht zuletzt die Mannschaftsmitglieder folgen übrigens auch optisch den gängigen Vorstellungen über die Protagonisten und die Sitten an Bord eines Kriegsschiffes des 19. Jahrhunderts.

Integration nach europäischer Art

Und so ist es kein Wunder, dass der indigene Neukaledonier gemobbt, geprügelt, verhöhnt und verachtet wird, von nahezu allen, auf ganz unterschiedliche Art und aus unterschiedlichen Gründen. Und dennoch scheint sich langsam zunächst eine Art Integration des ethnischen Fremdkörpers in den Schiffsbetrieb anzudeuten. Aber Integration bedeutet noch lange keine kulturelle Akzeptanz geschweige denn das Bemühen von Verstehen des „Andersartigen“. Nach wie vor bemühen sich alle beteiligten, ihre Vorurteile bestätigt zu sehen, Èloi kann machen und lernen, was er will, er bleibt der Wilde, der Menschenfresser, der Dumme. Und je mehr Èloi lernt, desto stärker regt sich in ihm der Widerstand gegen die Verletzung seiner Menschenwürde.

Klischees als didaktisches Instrument

Das Buch lebt von seinen Klischees. Denn erst diese Vereinfachung erlaubt es, die Konflikte, die heute mindestens so aktuell sind wie im 19. Jahrhundert einerseits zu verdeutlichen, andererseits ad absurdum zu führen. Und dass die Problematik von den Künstlern in die Enge eines Segelschiffes vergangener Zeiten gezwängt wird, führt zudem dazu, dass sich niemand den Widersprüchen zwischen persönlicher Überzeugung, Ängsten und Wirklichkeit entziehen kann. Genau das ist übrigens der Grund, weshalb die Geschichte in einer Tragödie enden muss. Zwar führen die Ereignisse vor allem bei den Mitgliedern der Bordelite zu gewissen Nachdenklichkeiten und Verhaltensänderungen, die Gesamtsituation und die soziale Eigendynamik der maritimen Versuchskammer Schiff erlaubt zumindest im Fall der Renommée kein happy end.

Instrumentalisierung von Menschen als gesellschaftliches Prinzip

Das Buch ist zweifellos empfehlenswert, zwingt es den Betrachter doch dazu, sich – als Teil der Schiffsgesellschaft – mit den vielen angerissenen Problematiken auseinanderzusetzen. Dabei ist es nicht nur die Geschichte des Kanaken, die Problematik des Rassismus und der europäischen Überheblichkeit, die in dem Buch aufgegriffen werden. Denn die selbstgerechte Wissenschaftsgläubigkeit, religiöser Eifer, soziale Differenzierung und generell die Instrumentalisierung von Menschen im wissenschaftlichen, ökonomischen, ideologischen und machtpolitischen Interesse ist ja ein Phänomen, das nicht nur gegen außereuropäische Kulturen gerichtet ist.

auf- und anregende Lektüre

Als Kenner der Seefahrtsgeschichte erfreut sich der Rezensent an den historisch doch sehr genauen Darstellungen des Schiffsbetriebes auch einmal aus französischer Perspektive. Trotzdem sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte vor allem Fiktion ist. Sie ist hinsichtlich der beabsichtigten Botschaft gut und glaubhaft konstruiert, dürfte allerdings aus verschiedenen, hier nicht näher auszuführenden Gründen keine wirklich typische Situation an Bord eines Forschungs-Kriegsschiffes der damaligen Zeit wiedergeben. Trotzdem ist Èloi natürlich auch historisch recht anregend. Denn wer kennt hierzulande schon die französischen Seefahrer und Entdecker des 18./19. Jahrhunderts deren Reisen im Schatten der französischen Revolution in verschiedener Hinsicht für die Geschichte Pate gestanden haben dürften. Immerhin,  Louis Antoine de Bougainville (auf ihn wird auch im Buch Bezug genommen) war es 1769 gelungen, Ahutoru, den Sohn eines tahitianischen Stammesfürsten auf der Fregatte Boudeuse als ersten Polynesier unbeschadet nach Frankreich zu bringen.

Younn Locard, Florent Grouazel: Èloi. Avant-Verlag 2015. Gebunden, 222 Seiten.

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