Sonntag, 5. März 2017

Long John Silver

Das wahre Leben des legendären Schatzinselpiraten

Robert Lewis Stevenson verpasste dem Piraten Long John Silver in seinem Roman Die Schatzinsel  (1881) einen verschlagenen, unberechenbaren Charakter. Obwohl der eigentliche Held der Schatzinsel der junge Jim Hawkins ist, war es Long John Silver, der die literarische Nachwelt mehr als alle anderen Protagonisten des Romans beschäftigte. Eine besonders spannende und gelungene Adaption der Figur des einbeinigen Piraten ist die Autobiographie John Silvers vom schwedischen Schriftsteller Björn Larsson.

Mit rund 57 Jahren ist John Silver recht alt für einen Piraten geworden. Nach dem Schatzinselabenteuer hatte er sich mit ein paar Getreuen und seiner Frau – alles ehemalige schwarze Sklaven – auf Madagaskar niedergelassen. Für die Welt war er gestorben und nun fristete er ein ereignisloses Leben in Luxus. Grund genug offensichtlich, sein Leben Revue passieren zu lassen und ein offenes, schonungslos ehrliches persönliches  Logbuch zu verfassen. Schon der Einstieg, die Erinnerung an sein buchstäblich einschneidendes Erlebnis, den Verlust seines Beines und den Erhalt seines Spitznamens Barbecue lässt an Spannung und Atmosphäre kaum zu wünschen übrig. Und bereits jetzt wird dem Leser deutlich: In diesem Long John Silver steckt mehr als nur ein intelligenter, skrupelloser Schlagetot.

Long John Silver, mehr als ein charismatischer Soziopath

John Silver hatte als Sohn eines irischen Trunkenbolds und einer selbstsüchtigen Dirne eine schwere Kindheit. Dadurch unterschied er sich sicherlich nicht vom Gros der Jugendlichen Unterschicht seiner Zeit. Und er beklagt sich auch nicht darüber, nimmt aber als Erkenntnis und Handlungsgrundlage mit auf seinen Lebensweg, dass sich jeder selbst der Nächste und niemandem gegenüber verpflichtet ist. Freundschaft, soziale Verbindlichkeit sind, es sei denn es gereicht ihm zum Vorteil, nicht seine Denkkategorien. Nicht primär wegen seiner vermeintlichen Bösartigkeit, sondern vor allem wegen seiner Freiheitsliebe war ihm, wie es Larsson im Laufe des Romans wunderbar herausarbeitet, die Karriere als Pirat vorbestimmt. Der Leser ist hin- und hergerissen von der Persönlichkeit und der Bewertung der Handlungen des charismatischen Soziopathen. Immerhin riskiert John Silver mehr als einmal sein Leben für die Sache der Freiheit und seine Rebellion gegen Autoritäten. Und selbst die Welt der Piraten ist nicht wirklich seine. Dafür kann er sich bis zu seinem Lebensende auf die (seiner Aussage nach einseitige) Freundschaft der von ihm freigekauften schwarzen Sklaven verlassen.

Wenn John Silver mit Daniel Defoe plaudert

Björn Larsson legt mit seinem 1995 in Deutschland erstmals erschienenen Long John Silver nicht nur einen spannend erzählten und wunderbar komponierten Abenteuerroman, sondern auch ein gelungenes, in sich schlüssiges Psychogramm des einbeinigen Outlaws vor. Dass er in diesem Zusammenhang zudem ein gut recherchiertes authentisches, nicht romantisierendes Bild der Gesellschaft, der Seefahrt und des Piraten(un)wesens des 17./18. Jahrhunderts zeichnet, macht die besondere Qualität dieses Buches aus. Es ist für den Leser, der ein wenig mit der maritimen Literatur und seinen Vertretern des 18./19. Jahrhunderts vertraut ist, ein wahres Vergnügen, beispielsweise der Begegnung und den Gesprächen des fiktiven Long John Silver mit dem Autor von Robinson Crusoe, Kapitän Singleton und der Allgemeinen Geschichte der Piraten, Daniel Defoe beizuwohnen. Aus letzterem Werk stammen auch die Sündenbekenntnisse der Piraten Thomas Roberts, John Cane und William Davisons, die Larsson ebenso in die Biographie Silvers eingeflochten hat, wie Abenteuer realer und fiktiver historischer Figuren dieser Zeit.

Eine absolut gelungene Adaption mit Alleinstellungsmerkmal

Long John Silver gibt dem Leser eine Menge Stoff zum Nachdenken. Nicht nur, weil der alte Pirat Lebensfragen  aufwirft, die sich auch dem heutigen Menschen immer wieder stellen, sondern weil sich aufgrund der Nähe zu Silver, in die der Autor seine Leser durch die Teilhabe an dessen Erlebnissen, Gedankengängen und Handlungsmotivationen geradezu drängt, fast so eine Art Stockholm-syndrom einstellt. Eine absolut gelungene Adaption, die zu einem eigenständigen Werk geworden ist, das auch ohne die Kenntnis der Schatzinsel Bestand hat.

Björn Larsson: Long John Silver. Unionsverlag 2017. Taschenbuch, 436 Seiten.

Ebenfalls von Bjärn Larssen: Der Keltische Ring

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