Sonntag, 2. April 2017

Oman A Maritime History

Seit Jahrtausenden haben die Bewohner der Süd- und Ostküste der Arabischen Halbinsel eine enge Beziehung zur See. Bereits in der Bronzezeit organisierten die Seeleute aus dem Gebiet des heutigen Oman einen regen Warenverkehr zwischen den sich entwickelnden Kulturen in Mesopotamien und  dem Industal. Mit dem Einzug des Islam in die arabische Welt bis zur Ankunft der Portugiesen nahmen Omans Seefahrer eine wichtige Rolle bei der Entwicklung eines islamischen maritimen Netzwerkes ein, das sich bis nach China erstreckte. In der Neuzeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts schließlich etablierte sich das Sultanat Oman als veritable Seemacht im indischen Ozean. Der in der Reihe Studies on Ibadism and Oman erschienene Band 9 liefert nach Aussage der Herausgeber erstmals eine komplexe und alle Aspekte umfassende Darstellung der maritimen Geschichte Omans.

Im ersten Abschnitt befasst sich Edward Alpers, Historiker und Forschungsprofessor an der Universität Kalifornien mit dem Verhältnis zwischen den Fachgebieten Weltgeschichte (oder transnationale Geschichtsforschung) und maritime Geschichte. Ein in verschiedener Hinsicht interessanter Beitrag, der nicht nur einen klassischen Disziplinenstreit im Wissenschaftsbetrieb beleuchtet, sondern vor allem das Erkenntnispotenzial und den für Historiker ungewöhnlichen Blickwinkel der sich erst noch entwickelnden maritime history herausarbeitet.

Die maritime Welt des Oman der Bronzezeit

Der Zweite Abschnitt behandelt die maritime Welt des vorislamischen Oman, beginnend mit dem Seehandel in der Bronzezeit. Archäologische Belege zeigen, dass bereits seit dem 7. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung die Küstenbewohner der arabischen Halbinsel die ersten maritimen Aktivitäten entwickelt haben dürften. Spätestens seit dem 3. vorchristlichen Jahrtausend wirkten Seefahrer von Oman als Bindeglieder eines Seehandelsnetzwerkes, das die großen Zivilisationen Mesopotamiens, Dilmun (Bahrain und östliches Saudi-Arabien) und der Induskultur (Harappa) miteinander verband. Neben den geographischen, archäologischen und schiffbautechnischen Aspekten, erläutert der Spezialist für arabische Schiffe des westindischen Ozeans und Arabischen Golfs, Tom Vosmer auch die Konzepte früher arabischer Navigation. Die Darstellung von Struktur und Charakter von Häfen und Handelsrouten runden die Ausführungen  dieses Kapitels ab. Allerdings überrascht der Autor am Ende mit einem weiteren Aspekt. Die Domestizierung des Kamels, etwa Anfang des ersten vorchristlichen Jahrtausends, so der Autor, hatte geradezu revolutionäre Folgen für den arabischen Seehandel. Immerhin konnten die „Wüstenschiffe“ nicht nur doppelt so viel Last tragen, wie ein kräftiges Maultier, sie eröffneten die Wüsten der arabische Halbinsel für Handelskarawanen, die große Mengen an Gütern von und zu den Handelszentren an der Küste transportieren konnten.  Weitere wirtschaftliche und kulturelle Horizonte eröffneten sich und  führten zu neuen technologischen, politischen und sozialen Entwicklungen.

Omans maritime Netzwerke, die Römer und andere Reiche

Die Archäologin Anjana Reddy führt den Leser durch das erste vorchristliche Jahrhundert bis zum Beginn der islamischen Zeit Omans um etwa 630 unserer Zeitrechnung. Allgemein wird davon ausgegangen, dass das Vordringen der Römer in die Region des Roten Meeres , der Wirtschaft und dem Handel Omans als Eingangstor zum lukrativen Indienhandel neue Impulse gegeben habe. Anjana Reddy begründet in ihrem Beitrag jedoch, dass der Überlandhandel und die Bildung maritimer Netzwerke in Oman bereits vor dem Einfluss der Römer und Jahrhunderte nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches stattgefunden hat. Auch der Einfluss der sogenannten Sassanidischen Periode auf die Bevölkerung im Oman und ihre maritimen Aktivitäten müsse, so die Autorin vor dem Hintergrund archäologischer Belege zumindest hinterfragt werden. Seit der späten Antike sei die Omanische Gesellschaft ein Schmelztiegel mit Menschen aus aller Welt, von Ost Afrika, dem Roten Meer, Iran und dem indischen Subkontinent gewesen, habe viele fremde Gruppen und ihre soziokulturellen und wirtschaftlichen Besonderheiten assimiliert und integriert und auf diese Weise ihre Identität über die Jahrhunderte erhalten. Tatsächlich nahm das Gebiet und die Handelszentren des heutigen Oman ungeachtet der jeweiligen Machtverhältnisse in der Großregion eine zentrale Rolle im maritimen Handelsnetz des indischen  Ozeans ein. Zweifellos waren die arabischen Seefahrer durch ihre über Jahrtausende tradierten maritimen Erfahrungen und Fähigkeiten im interkontinentalen Handel unersetzlich.

Das islamische Oman vor der Ankunft der Europäer

Mit dem Eintritt Omans in die islamischen Welt um 630 erweiterte sich das maritime Netzwerk noch einmal gewaltig. Eric Staples, Mitherausgeber und Spezialist für islamische Geschichte, Seefahrt und Schiffbau, führt den Leser durch die Jahrhunderte islamischer Seefahrt bis zur Ankunft der Portugiesen im indischen Ozean. Geprägt war diese Zeit von komplexen religiösen, politischen und kommerziellen Machtkämpfen, dem Aufstieg von Hormuz und der Entwicklung weiterer arabischer Handelszentren, gewaltigen Migrationsbewegungen, der mongolischen Invasion, den Reichen der Umayaden, Abassiden und Osmanen. Eine Reihe von Mächten der Küste, des Hinterlands und der Region versuchten, sei es durch Piraterie, maritime Kriegszüge oder wirtschaftlichen Druck, einen Anteil des durch Omans maritimen Handel generierten Reichtums zu ergattern. Immerhin gelangten auf omanischen Schiffen Güter wie Kupfer, Weihrauch, Datteln, getrockneter Fisch und Pferde bis nach China und die Monsun getriebenen Schiffe kehrten mit Gewürzen, Edelsteinen, Perlen und Gold, Getreide, Metallen und Holz aus dem Indo-Westpazifischen Raum zurück.

Der persische Golf und die Portugiesen

Die portugiesische Vormachtstellung im Arabischen Golf beleuchtet der Ökonom und Soziologe Willem Floor. Den festungsgleichen See- und Kampferprobten portugiesischen Schiffen waren die zahlenmäßig überlegenen Flotten der islamischen Kontrahenten nicht gewachsen. Zu Lande allerdings war die militärische Macht der Portugiesen außerordentlich beschränkt. So blieben die politischen, gesellschaftlichen und Verwaltungsstrukturen der Region im Wesentlichen unangetastet, während die Portugiesen durch die Kontrolle der Straße von Hormuz Tribute, Zölle und Abgaben von den Anrainern einforderten. Piraterie, Rebellionen, Machtkämpfe regionaler Herrscher und der anliegenden Großmächte um den Zugang zum lukrativen Handel und nicht zuletzt der blühende Schmuggel beanspruchten die maritimen Kräfte der Portugiesen in erheblichem Maße. Und als schließlich auch die Holländer und die Engländer begannen, mitzumischen, da schwand die Macht der Portugiesen. 1622 im Rahmen der Anglo-Iranischen Eroberung von Hormuz verloren sie nicht nur ihren Gouverneurssitz und ihre Haupteinnahmequelle sondern auch die Kontrolle über den Golf. Fünfundzwanzig Jahre später mussten sie nach der Belagerung ihres Stützpunktes Muskat durch den osmanischen Imam Sultan b. Sayf auch diese Position räumen und zwei Jahre später verschwand auch die portugiesische Präsenz in Basra.

Oman als maritimer Machtfaktor im Westindischen Ozean

Nach der Vertreibung der Portugiesen aus Muskat entwickelte sich Oman zu einer bedeutenden Seemacht im indischen Ozean und dehnte seinen Einflussbereich auf Ostafrika aus. Dynastische Machtkämpfe, Bürgerkrieg und persische eroberungsversuche führten schließlich zur Gründung der bis heute regierenden Said-Dynastie. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gelang es Oman, seine Besitzungen von Bahrain über Teile der persischen Golfküste und der arabischen Halbinsel vorgelagerte Inseln bis nach Zanzibar und die ostafrikanischen Häfen von Cape Delago bis Cape Guardafui auszudehnen. Beatrice Nicolini, Politikwissenschaftlerin und Afrikanistin beschreibt in ihrem Aufsatz die Geschichte des Sultanats bis zum Zeitpunkt seiner größten Macht, der gleichzeitig den Beginn seines wirtschaftlichen Untergangs einläutete. Der war nicht nur dynastieinternen Machtkämpfen geschuldet, sondern auch Ergebnis der grundlegend veränderten internationalen wirtschaftlichen, politischen und technologischen Rahmenbedingungen: Die Entwicklung der monsununabhängigen Dampfschifffahrt und das massive Engagement der europäischen Mächte und Amerikas in der Region. Der Historiker und Omanspezialist Calvin H. Allen schließt mit seinem Aufsatz den historischen Teil und führt den Leser bis in die heutige Zeit, in der der Oman – nicht zuletzt aufgrund seiner seit den 1970er Jahren sprudelnden Öleinnahmen -  in der Region des Westindischen Ozeans wieder eine bedeutende maritime Rolle.

Schiffsarchäologie, Schiffstypen und arabische Navigation

Tom Vossmer und Eric Staples geben mit ihren Essays zum fünften Abschnitt The Maritime Sciences. Naval Construction and Navigation tiefe Einblicke in die Entwicklung des arabischen Bootsbaus, den Technologien und  der Typologie der arabischen Wasserfahrzeuge und in die Besonderheiten der Navigation im indischen Ozean unter Bezug auf islamische Quellen.
Ein außerordentlich interessantes  Buch, das eine Vielfalt von Facetten der maritimen, religiösen und politischen Geschichte einer dynamischen und aus europäischer Sicht kaum bekannten und verstandenen Region aufgreift. Ein gutes Beispiel für das interdisziplinäre Potenzial modern verstandener maritime history. Nicht unerwähnt sollte allerdings insbesondere bei der Lektüre der Abschnitte zur  neueren Geschichte Omans bleiben, dass einer der Herausgeber des Buches aus der Reihe „Studies on Ibadism and Oman“ Sheikh Abdullah Bin Mohammed Al Salmi ist, seines Zeichens Minister für religiöse Stiftungen und Religionsangelegenheiten des Sultanats Oman. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen Das Buch zeigt keinerlei Tendenzen religiöser Einflussnahme. Die Darstellung des modernen Oman und der Leistungen seines Monarchen stellt sich politisch jedoch ein wenig stromlinienförmig dar.

Abdulrahman Al Salim/ Eric Staples (Hrsg.): Oman A Maritime History. Georg Olms Verlag 2017. Gebunden, 254 Seiten.

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